1.2.2 Historische Entwicklung
Eingeführt wurde der ERV im Jahr 1989 zur elektronischen Abwicklung des ADVM-Mahnverfahrens. Ursprünglich beschränkte sich das Verfahren nur auf diesen sehr engen Bereich des Zivilverfahrens bei den Bezirksgerichten. Mit dem Mahnverfahren kann für unbestrittene Geldforderungen bis zu einem Betrag von damals ATS 75.000 (seit 1.7.2009 EUR 75.000,00), ein Zahlungsbefehl und damit ein gerichtlich vollstreckbarer Titel erwirkt werden.
§ 448 ZPO in der Fassung BGBl. Nr. 343/1989:
"(1) In Rechtsstreitigkeiten über Klagen, mit denen ausschließlich die Zahlung eines 50 000 S nicht übersteigenden Geldbetrags begehrt wird, hat das Gericht ohne vorhergehende mündliche Verhandlung und ohne Vernehmung des Beklagten einen durch die Unterlassung des Einspruchs bedingten Zahlungsbefehl zu erlassen, sofern nicht ein Zahlungsauftrag zu erlassen ist (§§ 548 bis 559)."
Das Mahnverfahren war von Anfang an prädestiniert für die Abwicklung über EDV: eine große Zahl von gleichförmigen Verfahren und starke Standardisierung durch die Verwendung von Formularen.
Im Jahr 1994 wurde die Verwendung des ERV auch auf "Rechtsträger, welche einer behördlichen Wirtschaftsaufsicht unterliegen" ausgedehnt. Damit sind z.B. Banken und Versicherungen gemeint.
Im Jahr 2007 wurde der ERV auf technisch vollkommen neue Beine gestellt. Neu war:
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die Zulassung mehrerer Übermittlungsstellen (bis dahin nur Telekom Austria AG)
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die Art der Übermittlung (via Internet, statt über Modem und geschlossenem Netzwerk)
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die Einführung von digitalen Zertifikaten zur Sicherstellung von Authentizität, Vertraulichkeit und Integrität der Daten
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der Ausbau auf zusätzliche Verfahrensarten (Firmenbuch, Grundbuch)
Für Rechtsanwälte und Notare ist die Verwendung des ERV seit dem 1.7.2007 verpflichtend.
Im Jahr 1995 wurde das Exekutionsverfahren so geändert, dass es für die EDV besser geeignet war (Einführung des vereinfachten Bewilligungsverfahrens, alleinige Zuständigkeit des Bezirksgerichts, Einführung von Formularen), und damit die Voraussetzung für die Umstellung auf den ERV auch im Exekutionsverfahren geschaffen.
Im Jahr 1999 wurden der ERV-Rückverkehr und damit der elektronische Weg vom Gericht zu den Verfahrensbeteiligten eingeführt. Damit ist die elektronische Übermittlung aller Arten von Dokumenten vom Gericht zum ERV-Endbenutzer möglich.
Seit dem 1.6.2000 darf infolge einer Änderung des Gerichtsorganisationsgesetzes (BGBl. I Nr. 26/2000) jedermann am ERV teilnehmen. Die Beschränkung des ERV im § 89a GOG auf Rechtsanwälte, Notare und Rechtsträger, welche einer behördlichen Wirtschaftsaufsicht unterliegen, wurde gestrichen.
In der Folge wurde der ERV auch immer mehr in der sogenannten "Direktzustellung" verwendet. Dabei wird ein Schriftsatz nicht zuerst an das Gericht gesendet und von dort weiter an die Parteien, sondern die Zustellung geschieht direkt z.B. vom Rechtsanwalt des Klägers an den Rechtsanwalt der Gegenpartei.
Seit 1.4.2009 besteht die Möglichkeit, im Grundbuchverfahren Eingaben und Beilagen im ERV einzubringen. Hierbei war die Schwierigkeit zu überwinden, dass Eintragungen in diese Bücher in der Regel nur aufgrund von Originalurkunden möglich sind. Originalurkunden können aber naturgemäß nicht digital übertragen werden.
Mit dem Berufsrechts-Änderungsgesetz, BGBl. I 146/2005, wurde für Rechtsanwälte, Notare und Zivilingenieure, die Möglichkeit geschaffen, sogenannte Urkundenarchive einzurichten. Diese Berufsgruppen dürfen Papier-Originalurkunden scannen und mit speziell abgesicherter Software in ein Datenarchiv einspeichern. Jede Berufsgruppe führt ein eigenes Archiv: "Archivium" für die Rechtsanwälte, "Cyberdoc" für die Notare und "BAIK" für die Zivilingenieure. Solcherart eingestellte Urkunden sind kraft Gesetzes einem Papieroriginal gleichgestellt.
Mit dem Aufbau dieser Archive war die Einführung des ERV im Firmenbuch- und Grundbuchverfahren möglich: Im ERV-Antrag wird ein Link auf das Archiv übertragen, in dem die Originalurkunde abgespeichert ist. Das Gericht darf auf die Urkunde zugreifen. Sie wird dem Gericht somit indirekt vorgelegt.
Mit der Änderung ERV Verordnung 2007 vom 27.6.2008, BGBl. II 222/2008 wird die Einbringung von Jahresabschlüssen nach §§ 277 bis 281 UGB durch Wirtschaftsprüfer, Buchhalter und Revisionsverbände im Form eines PDF-Dokuments zugelassen.
Die elektronische Abwicklung entwickelte sich zu einer – auch international anerkannten – Erfolgsstory. Die Rationalisierungseffekte für die Justizverwaltung durch den ERV sind enorm. Aus diesem Grund ist das Bundesministerium für Justiz seit Jahren bestrebt, speziell die Beteiligten mit großen Eingabevolumen auf die ERV-Schiene umzustellen.
Im Jahr 2011 wurde die Verpflichtung zur Teilnahme am ERV auf Banken und inländische Versicherungsunternehmen ausgedehnt.
In der GOG-Novelle 2012 ist im § 89c Abs. 5 und 6 GOG geregelt, dass der ERV zwingend (ab dem 1.5.2012 für Rechtsanwälte und Notare und ab 1.10.2012 für Banken und Versicherungen) verwendet werden muss. Die Nichtbeachtung ist wie ein Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist. Die Nichtverbesserung führt zur Zurückweisung der Eingabe